Erster Prototyp - erster Segelflug!
Auf einmal ging doch alles ganz schnell. Auf Monate des Recherchierens und Nachdenkens folgten Monate des Jonglierens mit Gleichungen, Vektoren und Matrizen. Danach kam das monatelange Erstellen und Analysieren von Computersimulationen. Irgendwann begannen die Monate des Programmierens und Implementierens, und dann noch einige Wochen, die etwas unangenehm nach Lötzinn dufteten. Der Segelflug-unfreundliche Lockdown Anfang des Jahres konnte immerhin schon mit Testflügen auf Flugzeugdrohnen überbrückt werden. Und dann - nach etwa eineinviertel Jahren Arbeit in langen Nächten und an kurzen Wochenenden lag sie auf einmal vor mir: Eine kleine schwarze Box mit der Aufschrift „anemoi – Prototyp #1“.
Bewaffnet mit Prototyp, Laptop und Corona-Schnelltest zog ich los, um das Gerät zum ersten Mal auf dem Rücksitz unseres Arcus einzubauen. Auch wenn die erste Sensorbox noch knapp doppelt so groß ist, wie sie später einmal wird, ging das ohne größere Probleme: Gerade, ebene Stelle suchen, per Y-Adapter Pitot- und Statikdruck abzweigen und anschließen, per RJ45-Splitter das Flarm als GPS-Quelle anzapfen, und den Temperatursensor zur Lüftung hin verlegen. Das war es schon – alles andere (z.B. die Trägheitsplattform als Herzstück der Sensoreinheit) ist fest in der Box verbaut.
Es war ein Flugtag, wie man ihn sich für den Testflug eines Windmessgerätes nur wünschen konnte. Kräftiger, aber unkonstanter Westwind schliff am nördlichen Alpenrand entlang, so dass wir wenig Mühe hatten, im Luv der Randberge zwischen Königsdorf und Walchensee die Höhe zu halten. Jakob, mein Testpilot auf dem vorderen Sitz, musste sich viel von mir gefallen lassen. Mit dem Laptop auf dem Rücksitz festgeschnallt, beobachtete ich gebannt die Zahlen und Rohdaten, und kommandierte Kreise, Achten und Kurse. Ganz genau musste er die Geschwindigkeiten einhalten, die ich vorsagte, während die Videokamera über meiner Schulter alles, inklusive Anzeige der anderen Cockpit-Instrumente, für spätere Analysen aufnahm. Als wir mit dem Pflichtprogramm fertig waren, ließ ich ihn einfach fliegen – denn die beste Test-Situation ist der natürliche, realistische Streckenflug.
Nachdem Jakob und ich uns über eine Stunde tief, hoch, langsam, schnell, in Achten, Kreisen, Kurven und geradeaus zwischen den Gipfeln von Blomberg, Rabenkopf und Jochberg ausgetobt hatten, nutzten wir die restliche Höhe, um exakte Kreise mit unterschiedlichen, genau vorgegebenen Geschwindigkeiten zu fliegen. So konnten wir genaue Daten zur händischen Überprüfung der automatischen Staudruck-Korrektur aufzeichnen. anemoi findet nämlich durch das Verschmelzen aller verfügbaren Mess-Quellen von selbst heraus, welchen ständigen Fehlern (z.B. Skalierung oder Offset) die Sensoren unterliegen. So werden die Messungen bereits vor ihrer Verwendung korrigiert, und mithilfe der Ergebnisse wird das Wissen über diese Fehler ständig weiter verbessert. Das passiert so oft und so lange, bis die Fehler so klein sind, dass sie das Endergebnis (also den künstlichen Horizont und den Windvektor) nicht mehr verfälschen. Der Algorithmus gilt dann als „konvergiert“. Auch wenn diese mathematische Konvergenz in allen Simulationen und Drohnenflügen so weit verfeinert wurde, dass sie bisher einwandfrei funktioniert hatte, wollte ich dennoch ganz sicher gehen und die Daten „im richtigen Leben“ erstmal von Hand auf Plausibilität prüfen. Und das geht eben, wenn Wind im Spiel ist, am besten durch Kreisflüge mit konstanter Fahrt.
Als wir endlich die Schräglage reduzierten und den Arcus aus 200 km/h in Richtung der Platzrunde ausschießen ließen, hatte ich ein sehr gutes Gefühl. Nach der Landung speicherte ich die Daten und wusste, dass ich in den nächsten Nächten mehr als genug zu tun haben würde.
Beim zweiten und vorerst letzten Testflug ging es noch darum, die Eigenschaften des Geräts in einer besonderen Fluglage zu testen – dem Windenstart. Es war schon fast dunkel, als ich abends in der Halle das Instrument wieder ausbaute und wie einen Schatz vorsichtig zurück in die Kiste legte.
Fünf Stunden später – es war bereits nach Mitternacht – hatte ich alle aufgezeichneten Daten nochmals von Hand auf Plausibilität und Korrektheit geprüft. Die genaue Analyse wird noch Stoff für die nächste Woche sein, aber eines kann ich schon sagen: Es funktioniert tatsächlich – ohne böse Überraschungen und ohne offensichtliche Fehler in den Ergebnissen.